Nowitschok NervengifteAls Nowitschok wird eine Gruppe von Nervengiften bezeichnet, die hauptsächlich in der ehemaligen Sowjetunion und später in Russland für den militärischen Einsatz entwickelt wurden. Es handelt sich um indirekt parasympathomimetische und neurotoxische Organophosphat-Derivate, welche die Acetylcholinesterase irreversibel hemmen und dadurch eine lebensgefährliche Vergiftung herbeiführen. Nowitschok wurde in der jüngeren Vergangenheit vom russischen Staat für Giftattentate auf Dissidenten und Oppositionelle missbraucht.
synonym: Novichok
ProdukteAls Nowitschok („Neuling“) wird eine Gruppe von Nervengiften (Neurotoxinen) der vierten Generation bezeichnet, die von 1971 bis 1993 hauptsächlich in der ehemaligen Sowjetunion sowie in Russland im sogenannten Foliant-Programm entwickelt wurden. Nowitschok wurde zu Beginn der 1990er-Jahre vom russischen Chemiker Wil Mirsajanow öffentlich gemacht.
Struktur und EigenschaftenBei den Substanzen handelt es sich um Organophosphat-Derivate. Zu der Gruppe gehören unter anderem die Verbindungen A-230, A-232, A-234 und Substanz 33. Die Abbildung zeigt A-232:
Es sind Flüssigkeiten, die mithilfe eines Trägers auch zu einem Pulver und Staub verarbeitet werden können. Einige sind binäre Kampfstoffe, deren Vorläufer erst vor der beabsichtigten Verwendung gemischt werden, so dass die aktiven Moleküle entstehen.
WirkungenNowitschok hat indirekt parasympathomimetische und neurotoxische Eigenschaften. Die Effekte beruhen auf der irreversiblen Hemmung der Acetylcholinesterasen. Dadurch kann der Neurotransmitter Acetylcholin nicht mehr abgebaut werden, was zu einer übermässigen cholinergen Aktivität führt. Gemäss der Literatur sind diese Substanzen noch toxischer als das Nervengift VX.
Wirkmechanismus der Parasympathomimetika, zum Vergrössern anklicken. Illustration © PharmaWiki
MissbrauchNowitschok wurde in der jüngeren Vergangenheit vom russischen Staat und Geheimdienst für Giftattentate gegen politische Gegner eingesetzt. Im März 2018 wurde ein Anschlag auf den Dissidenten Sergei Skripal und seine Tochter Julia in Salisbury (England) verübt. Im August 2020 wurde der russische Oppositionelle Alexei Nawalny mit einem Vertreter der Nowitschok-Gruppe vergiftet. Alle drei Opfer überlebten die Anschläge dank einer guten medizinischen Versorgung. Dawn Sturgess, welche mit dem Gift von Salisbury in Kontakt kam, verstarb daran im Alter von 44 Jahren.
Unerwünschte WirkungenZu den Vergiftungssymptomen gehören:
- Neurotoxizität
- Schwäche
- Hypersekretion der Drüsen, Speichelfluss
- Schwitzen
- Übelkeit, Erbrechen
- Unwillkürliche Defäkation
- Atemnot, Atemlähmung
- Lähmungen
- Kleine Pupillen (Miosis)
- Periphere Neuropathie, verzögerte Neurotoxizität
- Reizbarkeit, Müdigkeit, Lethargie
- Tiefer Puls (Bradykardie), Herzversagen
- Bewusstseinsverlust
- Muskelkontraktionen, Muskelschwäche, Krämpfe
- Koma
- Tod
Selbst wenn die Betroffenen überleben, können sie weiter an Komplikationen leiden und behindert sein. Das hängt mit der Vergiftung und auch damit zusammen, dass die Nerven permanent geschädigt werden.
TherapieDie therapeutischen Massnahmen umfassen eine Dekontamination des ganzen Körpers und der Kleidung, die Verabreichung des Parasympatholytikums Atropin und des Benzodiazepins Diazepam (gegen Krämpfe). Atropin ist ein Antagonist an den muscarinischen Acetylcholin-Rezeptoren und hebt die Effekte von Acetylcholin auf. Weitere Antidote sind die AChE-Reaktivatoren Pralidoxim und Obidoxim für die Wiederherstellung der Aktivität der Acetylcholinesterase.
siehe auchVX, Atropin, Antidote, Parasympathomimetika
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Interessenkonflikte: Keine / unabhängig. Der Autor hat keine Beziehungen zu den Herstellern und ist nicht am Verkauf der erwähnten Produkte beteiligt.